Ich gebe es zu: Ich bin furchtbar. Ungeduldig. Wenn etwas nicht schnell genug geht, das eine oder andere nicht gleich funktioniert, ich warten muss: Dafür brauche ich Nerven. Das kostet mich Kraft. Gut, dass es manchmal nicht jeder gleich jeder merkt …
Schüler nerven. Schülerinnen auch. Mancher macht sich keine Vorstellung davon, wie es wirklich ist. Lehrer nerven, Lehrerinnen auch. Und Schulseelsorger erst! Manchmal fehlen auch mir die passenden Worte. Unglaublich.
Was soll das? Abdriften in Ironie, bei der der Sarkasmus nicht weit ist? Es ist, wie es ist: Manches darf ich wachsen lassen. Manches braucht seine Zeit, um sich entwickeln zu können. Menschen jeglichen Alters werden unsicher: Zum einen jene, die sich entfalten und sich selbst zu finden suchen. All jene, die sie dabei begleiten, ebenfalls. Und jetzt?
„Give yourself time to grow“ “Gib dir selbst Zeit zu wachsen!” Dies steht auf dem T-Shirt einer Lehrkraft aus der St. Mauritius-Sekundarschule. Auf ihrer „Arbeitskleidung“, wie sie selbst lächelnd sagte. Zweifellos ist es Arbeit, mir selbst die erforderliche, nötige Zeit zum Wachsen zuzugestehen. Um das körperliche Wachstum geht es hier nicht in erster Linie. Sondern um das geistige. Wenn aus Kindern aus den 5. Klassen mit den Jahren Jugendliche aus den 10. Klassen werden. Die nicht nur lesen, schreiben und rechnen können. Sondern altersbedingt verantwortliche Entscheidungen treffen und deren Konsequenzen zu tragen fähig und bereit sind.
Menschen sind keine Raupen, aus denen einmal Schmetterlinge werden. Menschen sind Individuen, die, wie alle und alles andere auch, nicht perfekt und nicht irgendwann einmal „fertig“ sind. Im besten Sinn des Wortes.
Schülerinnen und Schüler, Kinder und Jugendliche sind, wenn sie auf vielfache und unterschiedliche Weise wachsen, nicht nur ein Erlebnis und eine Herausforderung. Nicht allein im Alltag der St. Mauritius-Sekundarschule während des Unterrichts. Manche wachsen nach und nach über sich selbst hinaus: Sie finden und entdecken Fähigkeiten bei sich, von denen sie zuvor noch nichts wussten. Das braucht Zeit, um wachsen, sich entwickeln und sich ausbilden zu können.
„Give yourself time to grow“ – “Gib dir selbst Zeit zu wachsen”. Der springende Punkt dabei ist vielleicht auch, dass manche nicht nur in diesem Zusammenhang mit sich selbst zu ungeduldig sind. Andere sind ja weiter als sie. Können und beherrschen das eine oder andere besser und umfassender als sie selbst. Keiner möchte der Letzte sein. Das Letzte schon gar nicht. Und jetzt?
„Give yourself time to grow“ “Gib dir selbst Zeit zu wachsen”. Ob unsere Welt anders aussehen würde, wenn wir danach denken, reden, leben und handeln würden? Innerhalb und außerhalb einer Bildungseinrichtung? Darf ich mir nicht für mein eigenes, umfassendes Wachstum die Zeit nehmen, die ich dafür brauche? Diese ist nun einmal – wie jeder Mensch – individuell verschieden.
Wenn mir manches nicht schnell genug geht, darf ich mir Unterstützung holen. Miteinander geht manches leichter und besser als allein. Manches braucht dennoch seine Zeit. Im Buch Genesis in der Bibel lesen wir Ungeheuerliches: Gott lässt und nimmt sich Zeit: „Am siebten Tag ruhte Gott.“ (vgl. Gen. 2, 3). Darf ich es uns wünschen? Dass wir uns wieder Zeit lassen, um wachsen zu können. Dafür, zu uns selbst wieder „Ja!“ zu sagen. Obwohl nicht alles so gut ist bei uns, wie es mit ein wenig guten Willen sein könnte.
Dafür, dass wir uns über die Grenzen und Fehler anderer uns nicht lustig zu machen, dürfen wir uns Zeit nehmen.
Dafür, uns gemeinsam zu freuen, wenn aus kleinem Anfängen Großes werden kann, wenn ich mir dafür die Zeit gebe, die ich brauche.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger