23. Oktober 2024

Augenblick ...

Augenblick! Nein, nicht einer. Acht Augen sehen mich an. Was die alles mitbekommen können. Weil sie hinschauen. Und nicht wegsehen.

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Fast wäre ich daran vorbeigelaufen. Beinahe hätte ich es übersehen. Als „Hingucker“ erfüllt dieses Werbeplakat der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt wohl seinen Zweck. Es fällt auf. Menschen sehen hin und betrachten es. Dass sie ihrerseits mit acht Augen angeguckt werden, wird einen Grund haben. Jedenfalls ist es eine – wie ich finde – interessante Werbung für die Jubiläumsausstellung „Wir sind Kunst“ hier in Halle, bei der es noch bis Mitte November ausgesuchte Kunstwerke zu entdecken gibt.

Manches sehe ich gern. Weil es mir gefällt. Obwohl es kein einziges Wort zu mir sagt, spricht es mich auf die ihm eigene Weise an. Ob es sich dabei um einen Menschen, um ein Tier, um eine Pflanze oder um etwas ganz anderes handelt, ist zweitrangig. Nicht nur in der Kunst ist erlaubt, was gefällt. Das kann auch der Knackpunkt sein: Nicht alles, was gefällt, ist erlaubt. „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Was möglicherweise der Entertainer Mike Krüger 2010 erstmals so in Worte fasste, provoziert nicht nur künstlerisch Tätige und die Betrachter dessen, was sie aus welchem Grund auch immer geschaffen haben. Damals wie heute.

Das eine oder andere gut gemeinte und ebenso umgesetzte Werk endet anders als von ihrem oder seinem Schöpfer vorgesehen. 1973 wurde im Museum Morsbroich für Gegenwartskunst in Leverkusen beispielsweise die Installation von Joseph Beuys „Wanne mit Mullbinden, Pflaster, Draht und Fettflecken“ irrtümlich von zwei Politikerinnen bei einem Fest gereinigt und zum Gläserspülen genutzt.

Nicht alles, was mir zusagt und was ich im besten Sinn des Wortes „schön“ finde, sehen andere genauso. Dass sich über Geschmack trefflich streiten lässt, ist altbekannt und nichts Neues. Was ist unstrittig? Was ist eindeutig richtig oder falsch? Nicht nur im schulischen Kontext stellen sich solche Fragen.

Immer wieder macht mich jene Beispielerzählung aus der Bibel nachdenklich, die sich im Lukasevangelium bei Lk. 10, 30-37 findet. Ein Mann, der von Jericho nach Jerusalem geht, wird ausgeplündert, niedergeschlagen und, wie es heißt, „halbtot“ (vgl. Lk. 10, 30) von Räubern liegengelassen. Ein Priester und ein Levit, die zufällig auf demselben Weg unterwegs sind wie er, nehmen den hilflosen Verletzten wahr – und gehen weiter. Er geht sie nichts an. Ist doch sein Problem, oder? Ich kann doch wegsehen. Ich muss nichts machen.

Wenn ich im Schulalltag oder anderswo wegsehe, um nicht handeln zu müssen, ist das alles andere als hilfreich. Sicherlich habe ich nicht für alles immer eine Lösung. Wenn jemand Unterstützung braucht und es ihr oder ihm nicht gut geht – darf ich so tun, als ob mich das alles nichts angeht? Jetzt wünsche ich mir mehr als meine beiden Augen, damit ich nichts übersehe. Um Kunst geht da nicht. Sondern um jenen Satz, der sich ebenfalls in der Heiligen Schrift finden lässt: „Wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen.“ (vgl. Lk. 6, 31). Wenn mehr Kinder, Frauen und Männer danach handeln würden, wäre Manches auf unserer Welt anders als es momentan ist. Nicht nur in der St. Mauritius-Sekundarschule.

Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger